Am 15. Februar 1962 erreicht das Sturmtief Vincinette („die Siegreiche“) die Nordsee und nähert sich der deutschen Küste. Zwei Tage später wird „die Siegreiche“ überall im Norden und auch bei uns Deiche brechen lassen.

Als am 17. Februar der Rückdeich in Achterdeich (heute Gemeinde Stelle) bricht, kommt das Wasser von hinten aus der Feldmark bis nach Hoopte an den eigentlichen Elbdeich, der gehalten werden konnte. Das Wasser kommt also zwar – aber hier mit wenig Wucht und verursacht daher im Dorf nur leichtere Schäden.

In Achterdeich sterben allerdings vier Menschen. In Hamburg gibt es zeitgleich hunderte weitere Tote, zigtausende Menschen werden vom Wasser eingeschlossen, 20.000 evakuiert, 5000 obdachlos.
Allein im Landkreis Harburg werden über 7000 Hektar Land überschwemmt und dabei 3000 Menschen in 17 Gemeinden unmittelbar gefährdet. Hier sterben „nur“ fünf Menschen insgesamt – aber dafür viele hundert Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen und 3000 Hühner. 18 Wohnhäuser werden ein Totalschaden, hunderte weitere werden zum Teil schwer beschädigt.

Deichbrüche 1962 – Quelle: Broschüre des Landkreises zur Flut

Wie dramatisch der Ablauf war, welche Register gezogen werden mussten, um noch schlimmeres zu verhindern und wie groß der Aufwand der Deichverteidigung bei uns, einem, verglichen mit Hamburg eher dünn besiedeltem Bereich, gewesen ist, zeigt die Chronologie der Deichverteidigung anhand von Meldungen, die beim Wasserwirtschaftsamt in Lüneburg protokolliert worden sind. Den vollen Ablauf kann man in der unten verlinkten Broschüre nachlesen. Ich habe für eine leichtere Lesbarkeit eine Auswahl getroffen und gekürzt. Die Ereignisse beginnen am frühen Morgen des 17. Februar 1962.

  • 1.25 Uhr Nachtdienst im Wasserwirtschaftsamt wird eingesetzt, nachdem Alarmmeldungen durch den Hoopter Deichvogt Kobel durchgegeben worden sind. Höchststand der Flut wird für 4.30 erwartet.
  • 2.40 Uhr Meldung akuter Deichbruchgefahr bei Kirche in Over. In Bullenhausen läuft der Deich über. In Over steht das Wasser 50cm unter der Deichkrone. FF Over und Mittelfeld sind alarmiert.
  • 2.45 Uhr Scharnhorst-Kaserne stellt 20 Fahrzeuge bereit und leitet Evakuierung ein.
  • 3.15 Uhr Panzerartillerie-Bataillon 31 in Lüneburg schickt weitere 23 Fahrzeuge los.
  • 3.25 Uhr Meldung der FF Over: Deich bei Bullenhausen läuft über, Deichbruchgefahr beim Spritzenhaus, Überlauf an zwei Stellen in Over.
  • 4.00 Uhr Erster Bundeswehr-Konvoi aus Lüneburg macht sich auf den Weg, der zweite ist in Vorbereitung.
  • 4.05 Uhr Querdeich beim Bahnhof in Stelle gebrochen.
  • 4.11 Uhr Einsatzbefehl für zweite Bundeswehrkolonne: Nach Stelle Bahnhof über B4.
  • 4.20 Uhr Gemeinde Achterdeich soll alarmiert werden zur Evakuierung.
  • 4.25 Uhr Abbruch an Außenböschung an der Wuhlenburger Schleuse. Bundesgrenzschutz bessert aus.
  • 4.35 Uhr In Laßrönne steht das Wasser 1,50m unter der Deichkrone, Wellen schlagen bereits über den Deich.
  • 4.58 Uhr Bundeswehr meldet knapp 50 LKW, die aus Lüneburg anrücken. Davon 11 LKW und 52 Mann nach Hoopte.
  • 6.55 Uhr Vogtei Neuland wird gehalten, kein Deichbruch aber große Schadstellen am Elbdeich. Achterdeich überflutet, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr im Einsatz.
  • 7.20 Uhr Straße Hoopte-Fliegenberg überströmt und unpassierbar. Zwischen Bahn und Achterdeich strömt Wasser in den Polder.
  • 7.28 Uhr Deichbrüche bei Bullenhausen, Over und Laßrönne.
  • 7.55 Uhr Achterdeich auf 100m Länge gebrochen. Es werden Sandsäcke aus Dannenberg angefordert, sowie eine Hundertschaft des Bundesgrenzschutz.
  • 8.10 Uhr Ilmenauverband meldet, sämtliche Sandsäcke herausgegeben zu haben.
  • 8.30 Uhr Evakuierung der Vogtei Neuland läuft an. Gesamter Achterdeich wurde überflutet und ist zweimal gebrochen.
  • 8.55 Uhr 200 Pioniere aus Lüneburg sind nach Laßrönne unterwegs. Ankunft dort um 9.55.
  • 9.15 Uhr Deichverband Vogtei Neuland wird technisch aufgegeben, da nicht mehr zu halten.
  • 9.35 Uhr Es wird versucht, die Lage am Achterdeich zu klären: Wie viele Häuser sind abgeschnitten und können per Boot Leute aus den abgeschnittenen Häusern geholt werden?
  • 9.45 Uhr Unterrichtung der Deutschen Presseagentur
  • 11.45 Uhr Steller Deich an 4-6 Stellen gebrochen, Vieh wurde abtransportiert. Die Autobahn ist teilweise überspült.
  • 12.56 Uhr 4000 Sandsäcke sind seit 10.00 von Damnatz nach Fliegenberg unterwegs.
  • 13.50 Uhr 5000 Sandsäcke sind aus Hitzacker nach Hoopte unterwegs.
  • 15.50 Uhr Deich in Laßrönne konnte mit Steinen und Sandsäcken hochgebracht werden.
  • 16.10 Uhr Sturmflutwasserdienst meldet Höchststand für 15.20 mit 4,06m NN. Wasser fällt langsam.
  • 17.30 Uhr Menschen und Tiere aus der Vogtei Neuland sind nach Evakuierung in Winsen bei Bekannten untergebracht.
  • 18.10 Uhr Straße von Winsen nach Hoopte steht an zwei Stellen unter Wasser.
  • 18.20 Uhr Elbdeich von Stöckter Hafen bis Rosenweide gesichert, Deichkappe überall angegriffen. Wasserstand an drei Stellen über der Straße. Erhebliche Schäden am Deich.
  • 18.40 Uhr Deichschäden sind überall durch Sandsäcke ausgebessert. Einsatzkräfte erhalten Anweisung zur Pause.

Tage nach der Flut fror das Wasser über und verwandelte die komplette Feldmark in die größte Eisbahn der Dorfgeschichte. Die gleiche Katastrophe, die eben noch viel Leid und Tod gebracht hatte, verwandelte das Katastrophengebiet um Hoopte nun in einen gigantischen Spielplatz, den die Kinder gerne annahmen.

In den 1970ern wurde der Deich um bis zu eineinhalb Meter erhöht. Bei der Sturmflut von 1976, bei der ein 75 Zentimeter höherer Wasserstand erreicht wird, halten die neuen Deiche. Sie sind seit 1962 auch nie wieder gebrochen. Die Notwendigkeit der Instandhaltung und Verbesserung der Deiche, die man vor der Katastrophe zu lange vernachlässigt hatte, ist den Menschen am Deich bis heute in der Regel voll bewusst.

Quellen und weitere Informationen zum Thema:

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